TRASHED

FILMPRODUKTION

Es folgt ein Briefwechsel zweier Herren

Gehirn, 13.3.2019

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— Undine ist tot —

Sehr geehrte Damen und Herren, werte Trauergemeinde.

Wir haben uns hier zusammengefunden, um das frühzeitige Ableben von Undine zu betrauern. Die große, große Undine. Unsere liebe Freundin, unser Sprachzentrum.

Groß ist die Lücke, die Undine in unserer Mitte hinterlässt – und dennoch will ich euch beruhigen. Denn ich, euer Gedächtnis, weiß um die Regeln der Sprache genau Bescheid und werde fortan die ehrenvollen Aufgaben von Undine übernehmen.

Genau genommen hat sich Undine sowieso nie viel um mich und meine allgemeingültigen Regeln gekümmert. Mir blieb meist nichts Anderes übrig, als von ganz hinten im Hinterkopf, Undines Gebrabbel zu lauschen, das weder einen anständigen Vokalansatz, noch einen korrekten Umgang mit „chs“ berücksichtigte. Ihre Artikulation war ebenso ein Trauerspiel, wie dieses Totengedenken. Jeder Vokal braucht einen klaren Ansatz! Gehört beim „chs“ das „s“ zum Stamm wird es zum X! Hat / Er – nicht hatter! Dax – nicht Dachsss! Ist das so schwer?

Aber ich ereifere mich.

Es tut mir wirklich leid, dass dieser unvorhersehbare Schlaganfall unserer Undine so schlecht bekommen ist. Wobei – bei all dem Speisefett und Alkohol, - vier Eier zum Frühstück plus Zigarre, Bacardi-Cola zum Mittagessen, Bacardi-Orange zum Dessert, Boef Bourguignon als Hauptnahrungsmittel, Butter als Beilage, aufrecht Liegen als Haupt-Sport und dann immer diese Sauftouren, ganze Wochen fehlen mir – nein, es ging nicht mehr.

Und doch – wir stehen noch! Beziehungsweise wir liegen, aber was für einen Unterschied macht das schon für einen Lappen Hirn oder eine Innerei. Es ist eine Chance, denn ab jetzt weht hier ein anderer Wind! Und nein, damit mein ich nicht den Deckenventilator in diesem zweitklassigen Achtbettzimmer eines drittklassigen Krankenhauses. Ich und mein treuer Freund Fabian, das Zwerchfell, wir werden ab jetzt die PR- und Kommunikationsabteilung dieser Ruine eines Menschen leiten. Ich kenne die Regeln der Sprache und Fabian wird im Takt dazu hüpfen und so unsere Anliegen nach draußen morsen. Macht euch also keine Sorgen, unsere Ausdrucksweise wird klarer denn je sein.

Ja, ich weiß Bescheid. Ich weiß wann aspiriert wird und wann das gefälligst zu unterlassen ist. Ich weiß, was man bei Ziffern zu beachten hat. Ich weiß wann „r“ gesprochen wird. Die Konsonanten „t, p, k“ sind Plosive, und da wird auch schon im Namen aspiriert, natürlich stimmlos. Vor stimmhaft anlautenden Endsilben wie „-lein“, „-lich“, „-sal“ dagegen hütet euch. Ein klarer Ansatz ist oft unerlässlich. Achtet auf den Vokalansatz bei ein/und/achtzig und auch bei den Diphthongen, den Zwielauten. Von 20-99 wird die Endung immer zu –ich. Was fällt euch zum Schwalaut ein? Das sind Ersatzlaute, vollkommen unbetont. Im Anlaut und bei Doppel „r“, nach Konsonanten und nach kurz-offenen Vokalen, nach jedem „a“ – da wird das „r“ laut ausgesprochen! Rübe! Narr! Krähe! Durch! Hart! Und die wichtigste Regel von allen: Das Wort „lecker“ sagt man nicht!

Undine, aber, war das egal. Sie hat mich belächelt, nicht auf meinen teuren Rat gehört. Und das nun ist das Ergebnis. Ihre schlampige Aussprache hat uns ins Wachkoma befördert.

Lasst mich ehrlich sein. Sie trägt nicht die ganze Bürde, nicht die ganze Last allein. Auch andere sind nicht gänzlich unbeteiligt, haben sich mitschuldig an der Tragödie gemacht. Fühlt sich jemand angesprochen? Jemand, der von selbst möglicherweise nicht mehr funktioniert? Der Geräte braucht, um noch eine anständige Tiefatmung hinzukriegen? Lunge? Möchtest du vielleicht was sagen? Ach so, du kannst nicht mehr. Immer nur die faule Hochatmung, nie anständig bis in den Bauchraum und zum Zwerchfell durchgezogen. Fabian kann ein Liedchen davon pfeifen. Verspannungen, Kurzatmigkeit, die Kehle zugeschnürt, diese unnatürlich hohe Stimme mit der wir oft gequiekt haben.

Doch diese Tage sind hinter uns. Ab jetzt übernehme ich. Und ich habe Durst. Ich höre von der Kehle sie wäre tatsächlich äußerst trocken und, ja, zugeschnürt. Fabian. Mach dich bereit, wir morsen. Ja, wir morsen nun! Zweimal lang und zweimal kurz. Dann einmal lang und dreimal kurz, wieder lang, wieder kurz, eine Drehung gegen den Uhrzeigersinn, lang, kurz, lang. Lang, lang, kurz. Kurz, kurz, lang, lang, besonders kurz, besonders lang, eine Pirouette zum Abschluss. Bacardi-Cola. Die Schwester wird verstehen.




Undine ist tot